Mittwoch, 23. November 2016

Artikel 23.11. ND: Anwohner und BVV gegen Baustadtrat





Dicke Luft durch dichte Bebauung

Artikel von  Nicolas Šustr aus dem Neuen Deutschland vom 23. 11. 2016

Anwohner und Bezirksparlament stellen sich gegen Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat

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Beton statt Grün plant das Bezirksamt an der Blücherstraße.

»Die Baudichte ist zu hoch«, sagt Claudia Bartholomeyczik von der Kreuzberger »Initiative für den Kiezerhalt« und meint damit die geplante Nachverdichtung an der Kreuzberger Blücherstraße 26. Fünf neue bis zu siebengeschossige Häuser sollen um zwei Gebäude aus den 1960er Jahren herumgebaut werden. Die Nutzfläche würde sich auf 15 000 Quadratmeter verdreifachen.
Zwei soziale Träger nutzen die aktuell 5000 Quadratmeter für Bewohner in verschiedenen Betreuungsprojekten. Unter anderem eine Kita und zusätzlichen Wohnraum sollen die Neubauten bringen. »Die Stärkung und Erweiterung der vorhandenen sozialen Nutzungen dienen dem Wohl der Allgemeinheit und liegen im gesamtstädtischen Interesse«, nannte der Friedrichshain-Kreuzberger Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) den Grund, warum so massiv gebaut werden soll. Gefragt wurde er im Bauausschuss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV).

»Das ist schon ein ziemlich heftiger Neubauvorschlag«, schreibt der ehemalige Friedrichshain-Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) in einer E-Mail. Er war vor Panhoff für das Baugeschehen im Bezirk zuständig. »Die Planungen der Blücher 26 Housing GmbH sind nach dem Maß der baulichen Nutzung planungsrechtlich nicht zulassungsfähig, solange der Baunutzungsplan nicht durch einen Bebauungsplan abgelöst wird«, schreibt der Baurechtsanwalt Karsten Sommer in einem Gutachten zu den vorgestellten Plänen. Der sogenannte Baunutzungsplan ist ein Relikt von 1960. Er regelte in eher grobem Raster für das gesamte damalige West-Berlin, wo was gebaut werden darf.

Die Einschätzungen des Gutachters »wird durch das Bezirksamt nicht geteilt«, wischt Panhoff im vergangenen Februar Fragen der BVV beiseite. Es sei »geübte Berliner Praxis, bei Bauvorhaben mit vergleichbaren Geschossflächenzahlen Befreiungen vom Baunutzungsplan von 1958/60 zu erteilen«.
»Wir haben das Gutachten damals in Auftrag gegeben«, sagt Bartholomeyczik von der Initiative. »Zwei Drittel mehr als an Gebäudefläche zulässig« sei dort genehmigt worden.

Der Ärger fing 2015 an. Am 27. Juni wurden die Anwohner auf einer Veranstaltung über die Pläne informiert, bereits am 2. Juli 2015 wurde der Bauvorbescheid erteilt. »Das ist doch keine Bürgerbeteiligung, wenn sowieso schon alles klar ist«, sagt Bartholomeyczik, »Erstmal war ich grummelig, dann wurde ich richtig wütend«, sagt sie. Zumal bereits 2012 der erste Schritt für die zusätzlichen Bauten unternommen wurde. Damals verkaufte der landeseigene Liegenschaftsfonds das Grundstück an die von den beiden sozialen Trägern Verein für Integrative Therapeutische Angebote (VITA) und Jugendwohnen im Kiez gegründete Projektgesellschaft Blücher Housing 26. Im Jahr 2014 beschäftigte sich dann das der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher unterstellte Baukollegium mit den Plänen. Die Anwohner erfuhren nichts.

Roland Schirmer, Geschäftsführer von VITA, sieht die Dinge erwartbar anders. »Die Bürgerbeteiligung hat stattgefunden. Wir haben versucht, die Einwände zu berücksichtigen«, sagt er. Ihm dauert es jetzt schon viel zu lange bis zur Realisierung. »Wir planen seit 2012, inzwischen liegt der dritte Architektenentwurf vor. Das bedeutet viel Zeit und viel Geld, die inzwischen verbraucht wurden«, sagt Schirmer.

»Wir sind der Auffassung, dass dieses Objekt nicht in der Größenordnung wie aktuell geplant realisiert werden soll«, sagt Lothar Jösting-Schüßler, LINKEN-Bauexperte in der BVV. »Panhoff hat sich ganz stur gestellt. Das habe ich in dieser Form noch nie bei ihm gesehen.« Selbst einen von Jösting-Schüßler initiierten BVV-Beschluss, der eine echte Bürgerbeteiligung fordert, ignoriert Panhoff. Jetzt gelte es allerdings abzuwarten, bis sich die neue BVV endlich konstituieren kann. »Ich gehe davon aus, dass der Baustadtrat bis dahin keine Fakten schafft.«

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